Reden wir über den Akzent. Gut das mit dem rollenden „r“ können wir auslassen – das wird mit uns Deutschen wirklich nichts, es sei denn, jemand ist in Bayern geboren und hat es (fast) von Natur aus. Darum reiße ich mich ja gar nicht. Nach zwei Jahren Unikurs-Russisch hatte ich schnell eingesehen, dass es nichts wird. Als Berlinerin muss ich auch ehrlich zu mir sein. Mit allem anderen bewahrte ich mir schon die Hoffnung.
Langsam denke ich, vergeblich: Vor ein paar Wochen wollte ich an einem Moskauer Zeitungskiosk einfach ein Magazin kaufen. Ich verholperte nur ein Wort. Anscheinend auf so unnatürliche Weise, wie es nur Ausländer vermögen. „Woher kommen Sie“, fragte die Verkäuferin, ohne auf mein Anliegen einzugehen. Das kam erst später, nachdem sie geklärt hatte, dass es kein englischer Akzent ist, den ich angeblich auf der Zunge hätte. „Ach, aus Deutschland – schön!“ Herzlich gingen wir auseinander, und ich in mich hinein: Ein englischer Akzent? Kann er ein Potpourri aus der Muttersprache Deutsch, dem Einfluss russischer Studienfreunde und dem gemeinschaftlichen Wohnen mit zwei verschiedenen Hosjajkas, also russischen Gastmüttern, sein? Eine Art zu weich geratener deutscher Akzent, der zu Verwechslungsgefahr führt?
Na immerhin bringt mich mein Akzent offenbar mit Leuten ins Gespräch. Bemerkt ihn jemand, ist es immer ein Grund, sich zu unterhalten. Oft wird gefragt: „Wo haben Sie so gut Russisch gelernt?“ Man möge bitte nicht so schamlos schmeicheln, dachte ich mir da zuerst, glaube inzwischen aber, dass der Grund für diese Frage viel simpler ist. Möglicherweise ist es Ausdruck der profanen Freude darüber, dass ein Ausländer Russisch spricht.
Eine Sprache, die nach dem Ende der Sowjetunion oft genug verschmäht wurde. Nicht von Russisten, aber von den anderen, den Freizeitlernern. Russisch, das war am Sprachenzentrum der Universität wie der schlechteste Spieler zur Mannschaftswahl beim Hobbyfußball, der bis zum Schluss noch nicht vergeben war. Den am Ende aber irgendeiner nehmen musste, wollte man den Sprachkurs fürs Semester nicht ganz sausen lassen. An meiner Uni war das so, in meinem Kurs waren wir oft genug zu zweit.
Vielleicht freuen sich die Russen also einfach, wenn sich jemand die Mühe gemacht hat, sechs Fälle, merkwürdig voll- oder unvollendete Verben zu lernen und ein bisschen Umgangssprache obendrauf, so dass es schlicht egal ist, ob mit oder ohne Akzent. Dabei ist meiner übrigens vielleicht doch deutscher, als ich seit dem Zeitungskauf dachte.
Das hat mir jetzt das Treffen mit einer Moskauer Schauspielerin offenbart. Sie will sich einen deutschen Akzent zulegen, und ich ließ mich darauf ein, eine Fabel, einen Monolog und freie Rede in ihr Aufnahmegerät zu sprechen. Jedesmal war sie hellauf begeistert. Na, ich helfe eben, wo ich kann.
Mandy Ganske-Zapf